Den Sognefjellsvegen und die Valdresflye in Norwegen mit dem Rad zu fahren, stand schon lange auf meiner Wunschliste – doch lange war die Anreise zu weit und ich unsicher, ob ich es packe, mit dem Rad so viele Höhenmeter zu bezwingen und bis auf über 1400 Meter zu klettern.
Jetzt aber wohne ich ja seit April in Fagernes und nur noch einen langen Tag im Sattel von einigen der schönsten Passstraßen in Norwegen entfernt. Die Fitness schien dank der vielen Höhenmeter und Kilometer in letzter Zeit auch ganz passend. Im Mai ergibt sich dann dank des Nationalfeiertags am 17. Mai und des Pfingstmontags die Möglichkeit zu einem langen Wochenende – also nix wie los, von der Haustür weg, einmal in drei oder vier Tagen im Bikepacking Style mit dem Gravelbike rund um Jotunheimen.
Es soll zudem eine Art längere Probetour für mich werden, denn ich habe mich ja für mein erstes Bikepacking Event in diesem Jahr angemeldet, dem Bright Midnight über fast 1100 Kilometer und bald 20.000 Höhenmeter, die es innerhalb von gut 6 Tagen zu bezwingen gilt (Den Start beim Bright Midnight in Tolga im Juli musste ich später dann gegen einen Start beim Mother North Event etwas später in Lillehammer und im August tauschen, da ich im Juli mit einer Gruppe auf Tour in Jotunheimen gehen werde).
Ein Bikepacking Feiertag zum Start
Alles ist eingepackt und am Rad verstaut, der Wetterbericht verspricht Sonne und gutes Wetter für die nächsten Tage, es kann also losgehen zur ersten längeren Tour in der neuen Wahlheimat. Zuerst geht es in Richtung Beitostølen und der Valdresflye. Von der Haustüre weg kann ich aber erstmal die Aussichten oberhalb von Vestre Slidre auf die Seen im Tal genießen, schon ein erstes echtes Highlight nur wenige Meter von zu Hause entfernt. Überall werden heute die Norwegen Flaggen gehisst, die NorwegerInnen treffen sich in ihrer Tracht und haben am Nationalfeiertag einfach einen guten Tag.
Nach kurzer Zeit begleitet mich mein Arbeitskollege Georg ein Stück über Beitostølen und Bygdin hin zur Valdresflye und bis zum höchsten Punkt des Tages dort auf gut 1389 Metern. Strahlender Sonnenschein begleitet uns und hier oben im Gebirge liegt immer noch reichlich Schnee neben der Straße, schon cool hier in dieser Landschaft jetzt mit kurzer Hose auf dem Rad zu sitzen. Nach den ersten 1000 Höhenmetern gönnen wir uns im Cafe auf der Valdresflye eine Waffel und eine kalte Solo zur Erfrischung.
Danach geht es für mich alleine weiter und ich rolle mit spektakulären Aussichten weiter. Ich passiere die Knutshø und den Besseggen-Grat am Gjende-See. Was für ein Spektakel, ich muss mich mehr als ein Mal kneifen, es ist ein Traum hier bei dem guten Wetter unterwegs zu sein und die lange Abfahrt hinunterzufahren.
Über Randsverk und Lemonsjøen geht es weiter bergab, nicht ohne zwischendurch immer wieder kleine Gegenanstiege mitzunehmen, so dass sich die Höhenmeter weiter aufsummieren. Ich komme gut voran und die Stimmung ist echt gut, genau so stellt man sich wohl Bikepacking in Norwegen vor. Das letzte Stück hinab Richtung Vågåvatnet ist richtig steil, zum Glück muss ich hier nicht wieder hoch.
Danach geht es etwas zäher die Landstraße entlang bis nach Lom, die Sonne brennt unentwegt weiter und ich komme gut ins Schwitzen. In Lom halte ich an der Tankstelle, die sehr empfehlenswerte Bäckerei hier hat leider heute geschlossen, also gibt es hier ein Refueling mit reichlich Tankstellen-Junk-Food im Schatten.
Hier in Lom ist schon ziemlich viel los und einige Halbstarke fahren die Straßen mit ihren reich mit Norwegen-Fahnen geschmückten Autos immer wieder auf und ab, während sie richtig coole Mucke pumpen, ihre Art den Feiertag zu begehen. Jeder war mal jung, das ist hier nicht anders als zu Hause.
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In der Nachmittagssonne fahre ich noch ein Stück weiter in Richtung Sognefjellsvegen, die wärmenden Sonnenstrahlen, die spektakuläre Landschaft, irgendwie fliegen die Kilometer heute dahin und ich bin selbst mehr als erstaunt über die sich weiterhin reichlich ansammelnden Höhenmeter.
Aber hei, ich fühle mich immer noch gut, also geht es immer weiter in Richtung der ganz hohen Berge Jotunheimens. Nach rund 170 km ist dann aber am Campingplatz in Bøverdalen Schluss für heute. Hier bekomme ich kalte Getränke, eine Dusche und einen bequemen Zeltplatz, was will man nach einem solchen Bikepacking Feiertag noch mehr? Was für ein erster Tag, es läuft viel besser als gedacht!
Über das Sognefjell hin zum Firkantfar
Das Dach meiner Bikepacking Tour rund um Jotunheimen steht heute am zweiten Tag auf dem Programm – und ich habe gehörigen Respekt vor dem Sognefjellsvegen und den anstehenden Höhenmetern. Erst einmal löse ich das Rätsel um den 24 Stunden geöffneten Supermarkt direkt neben dem Campingplatz hier. Dieser ist nur tagsüber normal mit Personal geöffnet, in den restlichen Stunden kommt man per App und Registrierung hinein, kauft ganz normal ein, bezahlt an einer Selbstbedienungskasse, alles ganz easy – doof allerdings dann, wenn man keinen Zugriff auf die App und Registrierung hat, da man dazu eine norwegische Personennummer braucht. Also liebe TeilnehmerInnen vom Bright Midnight, wenn ihr hier beim Event vorbeikommt und rein wollt und nicht hineinkommt, grämt euch nicht, auch ich habe trotz Personennummer eine Stunde gebraucht, um den Zugang zu checken.
Aber dann geht es los für heute, reichlich Höhenmeter warten. Kurz nach dem Start biege ich von der normalen Straße ab und nehme die alte Straße ins Bøverdalen. Wieder einmal liefert Norwegen grandios ab. Die Bauernhöfe, später die Almen und dann die Aussichten von der Schotterstraße aus – man kann sich kaum satt sehen und ich komme aus dem Staunen und Grinsen kaum heraus. Die Straße verjüngt sich bald zu einem Fahrweg für Traktoren, hier gibt es noch einige Stellen, an denen mich große Schneefelder zum Absteigen und Schieben zwingen. Die Ausblicke ins Tal sind spektakulär und der ein oder andere größere Bach rauscht hier am Wegesrand vorbei.
Dann geht es zurück auf die FV55 und die eigentliche Straße übers Sognefjell. Es ist noch früh am Tag und der Verkehr hält sich sehr in Grenzen, die Kilometer fliegen dahin und Höhenmeter für Höhenmeter geht es den Pass hinauf. Es läuft richtig gut, ich fühle mich gut gewappnet und fit für den Anstieg. Kurve um Kurve geht es höher, ich passiere die Touristenhütte Krossbu und irgendwann bin ich tatsächlich oben – wie krass ist das denn? Ein Traum geht hier gerade auf gut 1400 Metern auf der Passhöhe in Erfüllung für mich. Alter, mit dem Fahrrad bin ich hier oben! Die Aussichten auf die Berge um mich herum sind spektakulär und der Kontrast zur grünen Landschaft im Tal ist krass, ich komme mir vor wie auf einem anderen Planeten in einer anderen Zeit. Auch hier liegt noch einiges an Schnee, die Seen sind teils noch zugefroren.
Zur Feier des Tages gibt es kurz darauf in der Sognefjellhytta eine leckere Waffel, dazu eine Cola und eine längere Pause. Gut gestärkt fahre ich dann über die kurvige Straße mit vielen kleinen Gegenstiegen weiter. Die Aussichten sind der Wahnsinn, die höchsten Berge des Landes liegen um mich herum und die staunenden Gesichter der mir entgegen kommenden Autofahrer ob der krassen Umgebung sprechen für sich. Riesige Wohnmobile gondeln hier herum, sogar ein Sattelzug überholt mich, unfassbar.
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Und dann kommt die Abfahrt. Es geht über 1000 Meter abwärts, die Bremsen glühen, die Landschaft wechselt von karg, felsig und winterlich langsam zu grün und frühlingshaft. Innerhalb von einer halben Stunde wärmt mich wieder die Frühlingssonne unten am Lusterfjord. In der Bundesliga rollt der Ball am letzten Spieltag, ich lausche der Radio-Konferenz per Kopfhörer im Online-Stream und flitze entspannt in der Sonne am Fjord entlang. Was für ein cooler Kontrast.
Kurz vor Sogndal kommt dann noch ein ziemlich guter Anstieg, über 300 Höhenmeter kurbele ich mich in der Nachmittagssonne hoch, bis auf der anderen Seite an der nächsten Tankstelle eine eiskalte Cola zur Belohnung auf mich wartet. Diesen Anstieg hatte ich so gar nicht auf dem Zettel und zwischendurch musste ich dann auch ganz schön beißen, ist es denn an den Fjorden hier nicht immer nur flach? In Norwegen geht es halt einfach nicht ohne Höhenmeter, ganz egal wo.
Die restliche Strecke nach Sogndal geht dann wieder schnell von der Hand, und hier statte ich dem Firkantfar noch einen kurzen Besuch ab, jeder der die Gebrüder Ylvis etwas kennt, wird von dieser imposanten Statue schon mal gehört haben 😉
In Sogndal kaufe ich kurz noch etwas zum Abendessen ein und checke dann wenig später auf dem nahe gelegenen Campingplatz mit grandioser Aussicht über den Fjord ein. Ich bin gut geschafft, aber nicht komplett zerstört, habe keine Knieprobleme oder Saddle-Sores – alles super bis hier! Over and out für heute!
Vom Fjord übers Fjell nach Hause
Der dritte Tag rund um Jotunheimen fängt für mich zeitig an, bereits um kurz nach 8 Uhr rolle ich vom Campingplatz. Beim Kaffee heute Morgen kam mir der Gedanke, es heute zu probieren, bis nach Hause zu fahren. Das wäre dann zwar ein ziemlich langer Tag, aber für mich eine Art Standortbestimmung, wie es um meinen Trainings- und vermutlich auch Willensstand steht. Man muss bei solchen Distanzen wohl auch ganz gut leiden können, schauen wir mal was wird.
Die Wolken hängen so früh am Morgen noch tief, die Temperaturen sind angenehm, gerne weiter so. Ich passiere Kaupanger und gelange dann durch den Tunnel etwas gegen die Regeln nach Mannheller, zum Glück ist es Sonntagmorgens, von Autos keine Spur und irgendwie hatte ich nicht auf dem Zettel, dass man nur per Auto oder Bus zum Anleger nach Mannheller gelangen kann, alles andere ist zumindest nicht ganz erlaubt. Sei es drum, kurz darauf rolle ich auf die Fähre und hole mir erst einmal einen Kaffee und ein belegtes Brötchen für die kurze Überfahrt. Bikepacking Frühstück par excellence.
Die Überfahrt ist kurzweilig und stimmungsvoll so früh am Morgen, bei den coolen Aussichten über den Fjord und den nur wenigen Autos und Leuten an Bord kein Wunder. Auf der Fähre fragt man mich noch kurz nach meinem weiteren Weg, natürlich haben sie gecheckt, dass ich durch den Tunnel gebrettert bin. Ich antworte mit Årdal als Ziel, und die Matrosen sind zufrieden, denn hier gibt es nur kurze Tunnel. Ganz anders in Richtung Lærdal, da wären sie dann wohl eingeschritten. Aber so passt es für sie.
Weiter geht es dann bei leichtem Nieselregen immer am Fjord entlang nach Årdalstangen und Årdal. Auf dem Weg dahin geht es durch einige kürzere Tunnel, was als Radfahrer immer mit etwas Anspannung verbunden ist, sind die Tunnel doch mitunter eng, kalt und dunkel. Und wer rechnet hier im Tunnel als Autofahrer schon mit einem Radfahrer?
In Årdal dann scheint wieder die Sonne und ich stärke mich erstmal an der örtlichen Tanke mit nahrhaftem Carbo-Loading nach Art des Hauses. Der Blick auf den Anstieg hinauf zum Tyin-See ist nicht gerade motivierend, schließlich geht es gleich über 1000 Höhenmeter am Stück bergan. Aber nützt ja nix, ich will ja heute nach Hause, also geht es los, einfach nicht darüber nachdenken und kurbeln.
Über zahlreiche Serpentinen, steile Rampen, kurze Wendetunnel und ziemlich lange Anstiege gewinne ich langsam an Höhe. Der Schweiß fließt, die Höhenmeter schmelzen dahin und die Aussichten ins Tal werden immer spektakulärer. Irgendwann wird es flacher, die Baumgrenze ist bald erreicht, es geht ins Fjell, die Straße wird gesäumt von unendlich vielen Hütten. Nach gut drei Podcastfolgen bin ich oben am Tyin-See, es ging viel besser als gedacht, hat fast schon Spaß gemacht, ein Hochgefühl aus Erschöpfung und Stolz macht sich breit.
Die Sonne scheint hier oben, Schneereste säumen die Straße und ich will gerade einfach nur hier im Fjell sein. Das Gefühl hier über die kurvigen Straßen zu radeln ist unbeschreiblich cool. Ich fahre entlang des Tyin-Sees und genieße die Ausblicke in vollen Zügen, muss mich öfters kneifen ob der wunderschönen Landschaft, die gerade aus dem Winterschlaf erwacht.
Noch vor kurzem war ich hier mit Ski unterwegs, jetzt sitze ich im Fahrradsattel und stürze mich in die steile Abfahrt nach Tyinkrysset. Hier stocke ich im Supermarkt nochmal meine Vorräte auf, stärke mich kurz und dann geht es weiter, unser neues Zuhause ist schon fast in Sichtweite, nur noch gut 50 Kilometer oder so, genau will ich es gar nicht wissen.
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Ich folge dem Mjølkevegen über ziemlich ruhige Gravelroads entlang des Vangsmjøsa-Sees. Nach dem See warten einmal mehr unerwartet viele Höhenmeter auf mich, der Schweiß fließt weiter in Strömen, die Muskeln brennen und der ein oder andere Fluch kommt mir über die Lippen. Leiden und so. Kann ich, muss ich hier aber auch.
Auf den letzten Kilometern geht es nochmal höher hinaus und ich folge einer kleinen Straße hoch über dem Tal mit genialen Ausblicken über Vestre Slidre und den großen Seen unten im Tal. Langsam wird es etwas zäh, aber hei, das kalte Bier im Kühlschrank zu Hause wartet schließlich schon und motiviert zusätzlich zum Endspurt.
Mit einem richtigen Bikers-High rolle ich die letzten Kilometer nach Hause, die Abendsonne taucht alles in ein warmes Licht und ich könnte trotz 150 Kilometern und 2700 Höhenmetern in den Beinen gerade nicht glücklicher sein. Es fühlt sich hier und jetzt alles schon sehr nach zu Hause an!
Reichlich kaputt, mit staubigen Klamotten an und mit einem Lächeln setze ich mich zu Hause vor die Haustüre, gönne mir ein kühles Bier und genieße diese wunderbare Erschöpfung nach drei Tagen im Fahrradsattel, einmal rund um Jotunheimen im Bikepackingstyle. Und ich bin ziemlich optimistisch für das anstehende Bikepacking-Event.
Fahrer, Fahrrad und Ausrüstung scheinen fit und bereit für das große Abenteuer!