Vor kurzem fragten mich die Jungs und Mädels von Hanwag, ob ich nicht bei den 24 Stunden von Bayern mitlaufen möchte? Wieso eigentlich nicht, dachte ich mir, um mich kurz darauf mal im Internet schlau zu machen, worum genau es sich bei diesem Lauf handelt und wo er in diesem Jahr stattfindet. Ich hatte schon von dem Lauf gehört und mich vor langer Zeit mal lose damit beschäftigt, es aber nicht weiterverfolgt.
Ist mir eigentlich viel zu lang, aber auch eigentlich ziemlich cool. Ohne Leistungsdruck oder Wettkampf versucht man, in den 24 Stunden so weit zu kommen, wie man es schafft. Alle paar Kilometer gibt es Versorgungsstationen und es wird einem die Region näher gebracht, durch die man wandert. Sei es mit regionalen Spezialitäten oder lokalen Bräuchen.
Nun also mal kurz nachgedacht und mir die Strecke und den Austragungsort angesehen. Die Kombination aus Tages- und Nachtstrecke sollte ich eigentlich schaffen, 70km und rund 2000 Höhenmeter in insgesamt 24 Stunden zu wandern konnte ich mir durchaus vorstellen. Allerdings gab es nicht mehr viel Zeit und so musste das Training für den Lauf ausfallen. Alles eigentlich wie immer. Einfach mal loslaufen und sehen was passiert, so mein Plan. Besser nicht darüber nachdenken, wie lang das ist und was mich erwartet.
So fand ich mich am Samstag also um 8:00 Uhr morgens mit rund 500 anderen Startern im Museumsdorf Bayrischer Wald wieder und war gespannt, was mich erwarten würde. Schnell das Startprozedere, lokale Honoratioren und die Milchkönigin wünschten einen guten Lauf, und dann ging es los. Ich hielt mich mal lieber ganz am Ende auf, der Pulk war mit etwas ungeheuer. Dann ging die Prozession los. Ich schließe mich einigen Leuten von Hanwag an und laufe los.
Das Wetter war wider Erwarten doch ziemlich gut und selbst am Morgen war es rasch schon ziemlich warm. Super, genau mein Wetter, das kann ja was geben. Langsam entzerrt sich der Pulk auf dem Weg nach Tittling.
Bald schon kommt die erste Station oberhalb von Tittling an einem Aussichtspunkt. Schöne Aussicht hier und wir sind alle guten Mutes. Nur sieht man schon hier, dass heute der Schweiß in Strömen fließen wird.
Es geht weiter und wir halten uns eher weiter hinten im Feld auf. Es läuft sich echt gut und ab und an gibt es nette Stationen, die uns mit Speisen, Getränken oder Interessantem am Wegesrand versorgen. Nachdem ich meine Füße an der Station Kalteneck im Bach abgekühlt habe, folgen wir der Ilz und bekommen eine leichte Abkühlung in Form einer kühlen Brise.
Fast an jeder Station trinke ich einen halben Liter, das ist echt nicht mein Wetter. Einigen anderen sieht man es auch etwas an. Insbesondere am kleinen Anstieg hoch zur Mittagspause auf der Burg Fürsteneck beobachte ich eine Frau, der es nicht so sehr gut geht. Als wir dann in der Schlange für das Mittagsessen anstehen, bekommen wir die volle Ladung Sonne ab. Immerhin viel besser als strömender Regen.
Zum Mittagessen gibt es Schupfnudeln mit Sauerkraut und dazu ein Weizenbier. Lecker und echt gut zubereitet von der Bundeswehr, die hier hinter den Töpfen steht. Allerdings hat das Mittagessen einen leichten Einfluss auf die weitere Wanderung, wie ich später erst feststellen sollte. Irgendwie denke ich nach einen guten Stück weiteren Weges, dass irgendetwas komisch ist. Hab ich etwas Falsches gegessen? Fühlt sich nicht gut an.
Irgendwann dämmert mir, das Weizenbier und Sauerkraut zusammen eine eher unglückliche Wahl für ein Mittagessen auf einer 24 Stunden Wanderung sind. Und das nicht nur ich unter zusätzlichem Vortrieb leide, höre ich erst nach und nach. Nachts am Lagerfeuer beklagt jedenfalls ein junges Mädel genau das, wie ich zufällig mithöre.
Man wandert so vor sich hin, es gibt unterwegs allerhand zu bestaunen und zu probieren. Unter anderem gibt es Honig zu probieren oder ein Säumerzug wird nachgestellt. Auch die Milchkönigin wartet unterwegs auf uns. Voller Vorfreude auf eine frische Buttermilch gehen wir zum Versorgungsstand an einem Bauernhof. Allerdings sind wir etwas enttäuscht. Statt frischer Milch oder frischen Milchprodukten gibt es leider nur Joghurt-Drinks und Kalter-Kaffee-mit-Milch-Drinks aus der kleinen Supermarkt-Plastikflasche. Schmeckt zum einen nicht gut und zum anderen hätte ich da mehr erwartet.
Aber egal, sei es drum, es geht weiter und irgendwann erreichen wir Ellersdorf, wo es Kaffee und Kuchen gibt. Es ist mittlerweile schon ziemlich warm, aber ich bin immer noch guter Dinge. Wir liegen etwas hinter der Zeit, aber dass hier ist ja auch kein Wettkampf. So kühlen wir auch ein weiteres Mal unsere Füße im Bach. Sehr gut.
Der Rest der Tagesstrecke geht dann irgendwann auch zu Ende und gegen 19:00 Uhr sind wir zurück am Museumsdorf. Hier gibt es eine längere Pause und etwas zu Essen. Auch ein Weizenbier gibt es, alkoholfrei. Nett zu sehen, wie sich hier alle versammeln und die Wunden lecken. An jeder Ecke wird gehumpelt, verarztet und sich Mut zugesprochen. Also weiter, es ist noch lange nicht vorbei.
Der Himmel ist mittlerweile bewölkt und kurz nachdem wir das Museumsdorf verlassen haben, fallen die ersten Tropfen. Super, immer noch ziemlich warm laufen wir jetzt in der Regenjacke. Schön so eine Schwitz-Tüte, besonders wenn es bergauf hoch zum Schloss Fürstenstein geht. Dort erwartet uns ein Mittelalter-Fest, was aber nicht zum offiziellen Teil gehört. Die Metal-Musik aus dem Schlosshof würde auch nicht so gut zur Wanderung passen.
Am Himmel sorgt dann aber Blitz und Donner für ein etwas mulmiges Gefühl. Keiner hat Lust, bei Gewitter und Wind nachts im Wald zu sein. Und so füllt sich die Bushaltestelle für den Besenwagen schon beachtlich. Wir wollen es probieren, setzen die Stirnlampen auf und laufen weiter, ab in die Dunkelheit und die Nacht. Glühwürmchen schwirren durch den lichten Wald.
Auf dem Weg zum Keltenlager hat sich noch Robin Hood im Wald versteckt und man kann sich hier darin üben, mit Pfeil und Bogen zu schießen. Über Stock und Stein gelangen wir dann zum Keltenlager, wo es unter anderem Stockbrot und Getränke gibt. Hier stößt Peter wieder zu uns, wir machen ein paar Fotos und laufen dann,weiter.
Am Garten der Sinne gibt es wieder eine große Raststation, man kann sich hier massieren lassen und neue Kräfte sammeln. Der See ist illuminiert und viele bunte Lichter zaubern eine tolle Atmosphäre in die Nacht. Nach einem kleinen Snack und Fuß-Check geht’s weiter in die Nacht – Pullman City is calling!
Langsam laufe ich auf Autopilot – Stirnlampen tanzen um mich herum durch die Nacht, die Gespräche werden weniger, die Grüße leiser und man konzentriert sich darauf, weiter zu kommen. Es zieht sich sehr, bis wir endlich die Lichter der Westernstadt gegen Mitternacht sehen. Bis wir da sind, dauert es noch ein Weile. Das Ganze erscheint mir reichlich surreal. Eine komplette Westernstadt mitsamt einer eindrucksvollen Main-Street gibt es hier. Man läuft hindurch und überall sind feiernde Menschen, die aus den Saloon auf die Straße treten um frische Luft zu schnappen oder sich zu unterhalten.Wir gucken komisch aus der Wäsche – die Besucher aber auch. Die wissen so gar nichts mit uns anzufangen. Eine kleine Gruppe kommt auf uns zu, fragt was wir hier so machen. Wir versuchen es zu erklären, aber irgendwie glaube ich, hat man uns nicht so ganz verstanden. Da hatte wohl jemand einen großes Nugget Gold gefunden und das zu ausführlich gefeiert 😉
Am Ende der Main-Street geht es dann in eine Halle, wo für uns Wanderer eine leckere Suppe und ein Getränk warten. Zur Unterhaltung gibt es Country-Music und eine kleine Show-Einlage eines Pferdeflüsterers, beides live und ziemlich gut. Wir stärken uns und ich mach den Fehler, mir mal ganz kurz meine Füße anzugucken. Aus psychologischer Sicht war das ein riesiger Fehler, die beiden großen Blasen an der Ferse setzen sich im Kopf fest und rütteln kräftig am Durchhaltewillen.
Aber was soll’s – die Hälfte der Nachtstrecke ist geschafft, also hauen wir uns noch einen Schokoriegel rein und laufen bei Nieselregen weiter. Weiter, immer weiter. Es nagt und ich frage mich öfters mal, ob ich noch weiter laufen soll, was ich hier so mache. Es nagt – ein großer Fan von Nachtwanderungen werde ich nicht mehr. Jedenfalls in diesem Moment.
In Fälsching an der Bushaltestelle werde ich fast schwach, aber ein ziemlich deutliches „Aufhören – no way!“ von Peter ermahnt mich zum weitermachen. Kurz darauf gibt es am Versorgungsstand frisch gepressten Apfelsaft. Nach dem Sauerkraut-Fiasko spare ich mir den aber.
Jetzt kommt eine harte Nuss, es geht so circa zweihundert Höhenmeter langsam und stetig den Berg hoch. Oben gibt es einen Aussichtspunkt, ich habe allerdings keinen Blick mehr dafür. Die Versorgung mit Getränken hier oben ist leider auch aus, mein unbekannter Nebenmann sieht ziemlich enttäuscht aus, als ihm klar wird, dass hier kein Wasser mehr auf ihn wartet. Spaß am Wandern sieht in diesem Moment ziemlich verzweifelt aus. Wir stolpern weiter durch die Nacht, es geht abwärts. Ein Versorgungsauto fragt uns, wie es uns geht. Blendend natürlich, wie denn auch sonst? Wir laufen weiter und Schloss Fürstenstein erhebt sich schön angestrahlt vor uns. Erste zaghafte Zeichen der Morgendämmerung zeigen sich, als wir durch das schlafende Dorf laufen. Ich will einfach nur noch ankommen und ins Bett.
Am Versorgungspunkt, an dem man, wenn man schneller und sportlicher ist als wir, noch zur 10km langen Mondschein-Extrarunde abbiegen kann, gibt es etwas zu trinken. Liegestühle laden zum Ausruhen ein, aber wenn ich mich da jetzt rein setze, dann komme ich nicht wieder hoch. Also weiter auf die letzten 5km. Endspurt. Wieder geht es in den Wald, eine Station mit Kunstwerken lasse ich links liegen. Autopilot. Die ersten Vögel beginnen zu zwitschern, oder zu twittern, und der Endgegner für heute kommt in Sicht. Kurz verlaufen wir uns, aber nette Mitwanderer bringen uns zurück auf den richtigen Weg. Es geht ein letztes Mal bergan zur Engelburg.
Ich bekomme etwas mentalen Aufwind. Bis auf die maladen Füße geht es mir ja auch gar nicht schlecht, nichts anderes tut weh und die Müdigkeit geht noch. Also geht es jetzt ab in den Tunnel. Ich lasse die anderen stehen,und laufe fast den Berg hinunter. Die Trommel-Station kann mich nicht mehr locken und ich gebe tüchtig Gas. Ein paar Leute gucken ziemlich sparsam aus der Wäsche, als ich sehr zügig und in großen Schritten an ihnen vorbei eile.
Kurz vor dem letzten Kilometerschild überhole ich zwei Mädels. Ich bin gerade vorbei als ich meinen Namen höre. Jetzt höre ich auch schon Stimmen. Aber nein, ich bin noch bei Sinnen. Die beiden haben von mir und meiner Tour gehört, bei Hanwag und beim Globetrotter-Stand lagen Zeitungen mit Beiträgen über meine NPL Wanderung aus.
Wir unterhalten uns nett und ich komme mir etwas vor, wie wenn man nach einer durchzechten Nacht im Morgengrauen nach Hause torkelt. Langsam geht es dem Ende entgegen, das Museumsdorf kommt wieder in Sicht.
Somit auch das Ziel und das Bett. Sauber, das ist auch nötig. Wir laufen durch das Museumsdorf gen Ziel. Ich beschließe das Ziel Ziel sein zu lassen und auch das Frühstück kann mich nicht mehr locken. Ich verabschiede mich kurz und gehe direkt ins Hotel. Ziehe die verschwitzten und dreckigen Sachen aus, quäle mich unter die Dusche und dann direkt ins Bett.
Was für eine Tour. Ich bin nie zuvor so lange gewandert und habe echt nicht gedacht, wie anstrengend das wird. Gott sei Dank wusste ich erst kurz vorher, dass ich überhaupt mitlaufe. Keine Zeit zu lange darüber nachzudenken. Ich ziehe meinen Hut vor allen, die sich an den Start gestellt haben und sich der Aufgabe gestellt haben. Voller Respekt und volle Anerkennung meinerseits an alle. Schön all die Leute zutreffen, die diese Wanderung erst zu dem machen, was sie ist! Ein tolles Geeinschafts-Gefühl, das Erlebte mit all diesen Leuten zu teilen und sich gegenseitig zu motivieren!
Ob ich das noch mal mache? Niemals, dachte ich nachts, auf gar keinen Fall dachte ich morgens, gestern Abend dachte ich, war ganz cool und heute würde ich mich eigentlich sofort wieder an den Start stellen. Danke Peter für die Worte, die mich unterwegs immer motiviert haben: „Schmerz geht, Stolz bleibt“!
Und genau so ist es 😉
8 Kommentare
Es war toll, dich bei den 24 Stunden von Bayern getroffen zu habe, auch wenn es nur kurz war und wir nicht wirklich Zeit für ein Gespräch gefunden haben. „Schmerz geht, Stolz bleibt“ gefällt mir, das trifft es ziemlich gut.
Das kann ich nur zurückgeben! Aber das Quatschen holen wir mal nach. Der Spruch ist ein guter Motivator 😉
Hey Simon,
das hört sich nach einem tollen Erlebnis an! Wenn du Lust hast, nimm doch nächstes Jahr deine Quasinachbarin aus Dortmund mit zu der Quälerei 🙂
Der Spruch „Schmerz geht, Stolz bleibt“ ist echt klasse, das trifft auch auf einige meiner Wandererlebnisse bisher zu. Tolle Fotos außerdem.
Liebe Grüße,
Nicole
Hei Nicole,
ja, das war schon ein schönes Erlebnis, jetzt betrachtet 😉 Zwischendurch aber auch ganz schön zäh…aber so ist das halt manchmal beim Wandern! Beim nächsten Mal komm einfach mit, das kriegen wir bestimmt hin 🙂
Liebe Grüße zurück
Simon
hey Simon,
sehr schöner bericht, lässt alles nochmal schön revue passieren !
ich war zum zweiten mal dabei. nach dem ersten mal in füssen letztes jahr dachte ich auch:das brauche ich nicht mehr !
drei tage später stand der entschluss fest, BEWERBUNG FÜR DIE NÄCHSTE TOUR:-)
macht fast süchtig. vielleicht sieht man sich im nächsten jahr im „räuberland“, um den mit der zeit verblassenden stolz neu auf zu polieren.
lG
Hei Thomas,
danke dafür! So ist das, wenn man mit solchen Dingen einmal anfängt… 😉 Das Räuberland klingt spannend – werde hoffentlich da auch meinen „Stolz“ wieder aufpolieren!
Beste Grüße
Simon
Hallo Simon,
leider haben wir uns bei den 24 Stunden nicht kennengelernt, aber der letzte Absatz trifft auch auf mich zu. Erst vor lauter Blasen ausgestiegen, nie wieder so eine Wanderung und nach einer Nacht und Blasenpflaster doch schon wieder überlegt und jetzt wieder fest entschlossen sich wieder zu bewerben. 😉
„Schmerz geht, Stolz bleibt“!
Klingt sehr gut
Liebe Grüße
aus W#tal
Tobias
Hei Tobias,
ja, der Spruch passt eigentlich zu vielen Abenteuern zu Fuß 😉 und die 24h sind für sich genommen schon auch ein kleines Abenteuer, auf ihre Art! Wenn du nächstes Jahr am Start bist, sehen wir uns bestimmt unterwegs auf der Strecke!
Beste Grüße ins Bergische!
Simon