Nachdem wir also einen entspannten Ruhetag in Teveltunet verbrachten, geht es am 1. August Richtung Angeltjønnhytta, den wir zusammen mit Åste bei bestem Wetter und mit guter Laune bestreiten.

Wieder kommt uns das extrem trockene Wetter der vergangenen Wochen zu Gute, denn die eigentlich ziemlich sumpfigen Wege sind allesamt staubtrocken. Nach 22 km lassen wir es uns in der urgemütlichen Hytte gutgehen.

Der nächste Tag Richtung Ferslia beginnt mit einem saftigen Anstieg, bald schon sind wir komplett nassgeschwitzt.

Startet der Tag noch mit den sommerlichen Temperaturen, die wir seit Lindesnes gewohnt sind, so leitet ein Regenschauer am Mittag das Ende der Trocken- und Hitzeperiode ein, von nun an sollen frische Temperaturen, wechselhaftes Wetter und Regenbekleidung unsere stetigen Begleiter sein. Bald schon kommt der grosse Feren See in Sicht, an dem sich die Ferslia Hytte befindet.

Wir steigen ab und machen nach ca. 16 km eine lange, vierstündige Mittagspause in der Hytte, lassen uns Pfannkuchen und Heissgetränke schmecken, während es draussen wie aus Eimern schüttet. Wir beschliessen, heute noch zu einer kleinen Schutzhuette zu gelangen, um die morgige Etappe zur Bellingstua, ca. 30 km, etwas zu entschaerfen. Staendig muss ich an Martin Kettler denken, der ja vor ein paar Jahren auf seiner NPL-Tour hier im Sumpf schier versunken ist.

Wir stimmen uns aufs Blåfjell ein

Trotz des starken Regens ist bei uns aber die Aufnahmefaehigkeit des Untergrunds noch lange nicht ausgereizt, alles ist noch super zu gehen. Nur das nasse, kniehohe Gras sorgt dafuer, dass bei Simon und mir das Wasser regelrecht in den Schuhen steht. Selber Schuld, wenn man zu lang mit neuen Schuhen wartet… jetzt freuen wir uns so richtig auf das bevorstehende Blåfjell, das quasi aus Sumpf besteht.

Unser Plan mit der Schutzhuette geht perfekt auf, denn der Tag zur Bellingstua ist fuer uns alle anstrengend und lang, gepraegt von unzaehligen kleinen An- und Abstiegen und einem Stueck Asphalt am Ende.

Die Bellingstua ist ein vom DNT aufgekauftes privates Sommerhaus, die Einrichtung ist dementsprechend supergemuetlich, aber ziemlich untypisch. Es gibt sogar einen CD-Player und eine grosse geschlossene Veranda. Zudem gehoeren von nun an Trockenraeume zum Standardinventar der Huetten – wer hier geht, weiss warum.

Am Abend erreicht noch ein anderer NPLer die Huette, der am Nordkapp gestartet ist. Wir machen grosse Augen, denn der ist wirklich Hardcore unterwegs, hat noch keinen einzigen Ruhetag gemacht und geht ausschliesslich auf der norwegischen Seite. Wer schon mal in der Gegend um Hellemobottn und dem Narvikfjell war, weiss was das bedeutet… energisch betont er, dass jeder, der die norwegische Grenze uebertritt, kein richtiges NPL laeuft. Immer wieder diskutieren Simon und ich nun untereinander oder mit anderen ueber die Definition von NPL. Was ist ueberhaupt das „richtige“ NPL und gibt es das ueberhaupt? Wann greift der Begriff NPL nicht mehr und ab wann doch? Wieso steht diese Diskussion denn eigentlich im Raum, wenn es uns allen (meistens, oft?) doch darum geht, Spass in der Natur zu haben? Diese Fragen muss wohl jeder Wanderer fuer sich beantworten…Zum Glück gibt es für Norge på langs keine Regeln, die macht sich jeder selbst, so individuell wie jeder diese Herausforderung für sich annimmt und den Anspruch, den jeder Wanderer an sich und diese Tour stellt.

Das Fruehstueck in der Bellingstua ist vorerst das letzte mit Åste, sie folgt von nun an den DNT-Wegen Richtung Skjækerdalshytta, wæhrend wir das Blåfjell etwas oestlicher weglos ueber Gaundalen, Holden und Gjefsjøen durchqueren wollen.

Ein entspannter, recht kurzer Wandertag zur Veresstua hebt die Stimmung und maskiert erstmal den Schiss, den ich vorm Weiterweg in der Hose habe. Die Huette ist der Wahnsinn! Erst diesen Winter eingeweiht, ist sie brandneu, modern und einfach herrlich. Da bietet sich ein Ruhetag am naechsten Tag geradezu an. Als wir es uns gemuetlich machen, schlaegt eine 8-koepfige Wandertruppe des DNT auf und bringt Schwung in die Bude.

Der Ruhetag entspannt zwar den Koerper, doch das Blåfjell haengt wie ein Damoklesschwert ueber uns. Ein ums andere mal bin ich extrem dankbar, dass ich jemanden an meiner Seite habe, der in genau dieser Situation schon war und mich zu 100% versteht. Aber laufen muss jeder selber, die Herausforderung annehmen ebenso. Das kann einem einfach niemand abnehmen, und genau deshalb ist es fuer mich nicht viel einfacher als fuer andere NPLer, nur weil Simon und ich Lebens- und Wanderpartner sind.

Im Blåfjell muss man sich seinen Weg selbst suchen, es gibt keine markierten Wege, nur Wildnis, Sumpf und ein paar Einoed-Bauernhoefe ohne direkte Strassenanbindung – wohl einer der mental und koerperlich anspruchsvollsten Abschnitte unserer ganzen Tour. Mir geht richtig die Muffe, als wir Richtung Gaundalen aufbrechen.

Wir können hier nicht anhalten – das ist Bärenland

Nur ein kleines Stueck auf dem markierten Weg legen wir zurueck, bis wir diesen in oestliche Richtung verlassen, um auf die beiden Bergruecken des Hitre und Nordre Seterfjellet zu gelangen. Wir schlagen uns durch dichten Wald, natuerlich steht wieder das Wasser in den Schuhen. Es fuehlt sich an, als steckten die Fuesse in zwei Wasserbomben, die oben zugeschnuert sind, in den wenigen regenfreien Pausen wringen wir die Socken und Innensohlen aus. Bald schon erreichen wir die Baumgrenze, kommen erstaunlich gut voran!

Ueber nasse Wiesen umrunden wir den Lakavassklumpen auf seiner westlichen Seite und steuern das Stigådalen an, ein breites, langes Flusstal, welches es komplett zu durchlaufen gilt. Wir wollen es so weit wie moeglich Richtung Gaundalen schaffen, die 30 km von der Veresstua dorthin an einem Tag zu gehen, ist fuer uns nicht drin.

Wir kommen weit und freuen uns, als wir am Ende des Tals, wo mehrere Gebirgsbaeche mäandernd zusammenfliessen und eine malerische Wasser- und Wiesenlandschaft zaubern, unser Zelt aufschlagen.

Immer wieder entladen sich die Regenwolken, die Nacht verspricht mit 6 Grad relativ frisch zu werden. Der abgelegene Hof Gaundalen ist am naechsten Tag innerhalb 3 Stunden erreicht, nur leider treffen wir Steinar Gaundalen nicht persoenlich an. Vielleicht ist er mit seinem kleinen Flugzeug auf Spritztour, man weiss es nicht. Beim Blick ins Gaestebuch staunen wir, dass im Sommer fast taeglich Leute hier zum Angeln, Jagen etc aufschlagen! Ueber Langweile kann sich der Herr Gaundalen sicher nicht beklagen.

Nach einer ausgiebigen Pause gilt es nun, bis Gjefsjøen der alten Telegrafenleitung zu folgen, die fuer die Wanderer eine ziemlich idiotensichere Markierung darstellt. Wir kriegen hier nichts geschenkt, das Gelaende ist nicht einfach zu gehen und durch viele Aufs und Abs gepraegt, ich pumpe wie ein Maikaefer.

Simon ergreift die Chance, krallt sich einen der alten Keramik-Isolatoren als kleines Blåfjell-Souvenir („cooler Briefbeschwerer“), beschwert damit aber statt Briefen erstmal seinen Rucksack um gut 1 kg. Wir erreichen Holden gut fertig und fangen als erstes an, Wasser abzukochen, denn den fast ausgetrockneten Bach teilen wir uns mit Kuehen und Schafen, ausserdem wissen wir, dass sich unsere NPL-Kollegen Martin und Thomas hier vor 2 Wochen gruendlich das Verdauungssystem zerschossen haben – sicher ist sicher. Die huebsche DNT-Huette liegt an einem riesigen See, die Aussicht geniessen wir am Abend.

Wer will fleissige Tough Mudder sehen? Der muss zu uns ins Blåfjell gehen

Der 8. August ist von Bauchschmerzen nicht nur aufgrund der langen, weglosen Etappe nach Berglia gepraegt, nein, ich darf mich heute auch ueber meine Periode freuen. Perfektes Timing, denn dann ist mit mir eigentlich gar nichts mehr los und das Bett mit Waermflasche the place to be. Tablette einschmeissen, irgendwie ignorieren und durchziehen. Am Ende der Telegrafenleitung liegt der Hof Gjefsjøen, wo uns Nils Christian Gjefsjø begruesst.

Nach einer Pause geht es aber weiter, denn schliesslich muessen wir uns die verbleibenden 29 km nach Berglia sinnvoll einteilen, um morgen dort anzukommen. Wir folgen erst Nils Christians Quadspur Richtung Nordre Gjevsjøhatten, dann sind wir erneut ueber der Baumgrenze. Ein Unwetter rollt ueber die Berge heran und ich bekomme Angst, wir beschliessen das Zelt zum Abwettern an einer halbwegs geschuetzten Stelle aufzubauen. Lange muessen wir nicht warten, schon öffnet der Himmel seine Schleusen und der Wind ruettelt ordentlich am Zelt, aber das eigentliche Gewitter zieht zum Glueck an uns vorbei. Danach packen wir zusammen und laufen noch weitere 2 Stunden oberhalb eines weiten, mit kleineren Seen durchzogenen Tals Richtung Ingeltjønna. In dem zerkluefteten, wasserreichen Gelaende schlagen wir das Zelt auf und freuen uns ueber den trotz Schwierigkeiten gelungenen Tag – unser Plan, das Blåfjell in 4 Tagen zu durchqueren, scheint perfekt aufzugehen!

Unser GPS-Track fuehrt uns weiter durch den Sumpf Richtung Berglia und der Fjellheim Farm der deutschen Auswandererfamilie Hartmann. Unsere Schuhe sind seit mittlerweile einer Woche so nass, dass uns alles egal ist und wir den grossen Fluss Ingeldøla einfach mit Schuhen furten. Nasser gehts irgendwann eh nicht mehr.

Als wir nach ca. 6 anstrengenden Stunden endlich auf der Schotterpiste nach Berglia stehen, zerschneiden unsere Freudenschreie die Luft. Wir haben es echt geschafft! Wir haben das Blåfjell bezwungen!

Jetzt muessen wir auch nicht mehr verdraengen, dass hier die hoechste Baerendichte in ganz Norwegen herrscht. Doch nein, eigentlich kann man sich SEHR gluecklich schaetzen, wenn man Meister Petz hier zu sehen bekommt, denn die Tiere sind extrem scheu. Im warmherzigen und sehr gastfreundlichen Haus der Hartmanns werden wir supernett empfangen, bekommen ein leckeres Abendessen aus frischem Elch-Hack und schlagen unser Lager in der Grillhuette auf. Es ist schon echt überaus beeindruckend, was sie sich hier mit viel harter Arbeit aufgebaut haben und zu sehen, wie sie alle als Familie gemeinsam an einem Strang ziehen. Nur dass Papa Hartmann mitten in der Nacht unsere Schuhe aus dem Trockenraum entfernen musste, damit seine Hunde nicht ausflippen, tut uns echt total leid und zeigt dass unsere Treter in der letzten Woche in punkto Geruch leicht eskaliert sind. Tschuldigung 😉

Asphalt, Strasse und Bitumen nach Røyrvik

Nun stehen als harter Kontrast zur weglosen Wildnis noch ca. 110 km und 4 Tage Asphalt bis Røyrvik auf dem Programm. Auch in diesen Tagen erfahren wir norwegische Grosszuegigkeit und Gastfreundlichkeit, die ihresgleichen sucht! Dass hier viele NPLer vorbeikommen, merkt man ganz deutlich, denn man wird meist direkt als solcher erkannt. Dank einer Abkuerzung ueber den Berg reissen wir die 36 km von Berglia Richtung Sandvika ab und verbringen eine muckelige Nacht im Lierne Gjestegård.

In Kvelia bekommen wir, wie jeder Norge på langs-Laeufer, Woll-Einlegesocken geschenkt und koennen lebenswichtige Dinge wie Cola, Chips, Nudeln und Kaese einkaufen sowie in der einzigartigen und urgemuetlichen Kaffeeecke herumhaengen. Das Gaestebuch strotzt nur so vor Eintraegen anderer NPLer – so cool, sich da mit einreihen zu koennen!

Als wir in Røyrvik einlaufen, schmerzen die Fuesse durch das mittlerweile kaum noch vorhandene Schuhprofil enorm. Ich trage immer noch mein erstes Paar seit Lindesnes. Das nun das Zeitliche segnen wird – als wir im Limingen Gjestegård ankommen, warten bereits einige Pakete mit neuer Ausruestung auf uns, das Auspacken zelebrieren wir wie unterm Weihnachtsbaum!

Was fuer eine coole Belohnung fuer diese enorm herausfordernde und anstregende Etappe, die oft ein Kampf war und die wir stolz wie Oskar hinter uns gelassen haben! Auch das Wiedersehen mit Åste sowie Myra, einer Niederländerin, die Norge på langs in Etappen geht, genießen wir sehr.

In den naechsten Tagen werden wir die Haelfte der Tour erreichen – ein unglaublicher Meilenstein fuer uns!

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10 Kommentare

  1. Michael Ecke Antwort

    Chapeau und immer wieder Chapeau, hoffentlich habt ihr beim Bergfest die Cola und die Ananas Büchse zur Verfügung. Ich werde übermorgen auch nach Norwegen aufbrechen und mich in der Gegend um Ålesund aufhalten, …alles Gute euch 2en beim weiteren Wandern! LG Micha

    • Vielen Dank! Wir können hier in Umbukta tatsächlich nicht klagen und es gibt ein bisschen Gönnung. Ich hoffe du hattest einen schönen Urlaub!

  2. Ruth Baumann Antwort

    Ein wunderbarer Bericht mitreissend zum Geniessen als Leserin. DieseErfahrung bereichert auch mein Leben. Herzlichen Dank und weiterhin. guten Mut wünsche ich euch. Ruth

  3. Ihr Lieben,
    toll, was ihr da wieder geleistet habt!!! Und herzlichen Dank, dass ihr weiter so fleißig die Berichte schreibt und uns mit tollen Fotos versorgt. Es macht sooo viel Spaß, alles zu lesen, die Fotos anzuschauen und in Gedanken dabei zu sein. Wie ist denn eigentlich das Foto entstanden, bei dem ihr am Straßenrand sitzt und von oben fotografiert werdet? Habt ihr da jemanden mit einer Drohne getroffen oder ist Simon eichhörnchenflink auf einen der Telegrafenmasten geklettert und ihr habt den Selbstauslöser eurer Kamera genutzt???
    Ich staune wirklich, was ihr wieder geleistet habt, und du, Anni, noch dazu mit deinen zusätzlichen Erschwernissen. Es ist sicher äußerst unangenehm, tagelang in nassen Stiefeln zu wandern. Das mag ich mir gar nicht vorstellen… Und dass das Stiefelprofil nun komplett abgelaufen ist, spricht ja Bände. Da kann man ja nur hoffen, dass sich in einem der Pakete auch wirklich neue Stiefel befunden haben. Aber davon gehe ich nun mal aus… Beruhigt hat es mich, dass ihr euer Wasser gewissenhaft abkocht. Ich hatte mich sowieso schon gefragt, wie ihr das in der Wildnis mit dem Trinkwasser macht, denn Bachwasser ist ja nun mal kein Quellwasser und deshalb nie so wirklich keimfrei.
    Ich wünsche euch nun weiter von Herzen alles Gute und eine behütete Fortsetzung eurer Wanderung! Bald habt ihr Bergfest, wie schön!!! Hoffentlich könnt ihr an dem Tag ein bisschen „feiern“ und euch eine Extra-Cola oder etwas anderes gönnen! 🙂 Liebe Grüße Helge

    • Vielen vielen Dank für deinen langen Kommentar! Ja wir haben tatsächlich eine kleine Drohne mit 🙂 Das mit dem Wasser ist in Norwegen in der Regel überhaupt kein Problem, solange es fließt. Deshalb haben wir es auch nur 2 oder 3 mal abgekocht, auch wenn wir auf irgend einer Weide waren und als es sehr trocken war. Hier im Norden muss man sich da gar keinen Kopf mehr machen 🙂

  4. Einfach stark wie ihr das alles durchzieht. Ich glaube euch nur zu gerne, dass eure Füße schmerzen!
    RESPEKT!

    LG Mel

  5. Markus Schröter Antwort

    Hallo, ihr beiden!
    Ihr habt in der Bellingstua sicher Einar getroffen. Ich bin ihm in Skorovas begegnet, auf meiner Reise auf dem E1.
    Vielleicht habt ihr einen meiner Hüttenbuch-Einträge gefunden.
    Verfolge euren Weg nun von Zuhause aus.
    Viele Grüsse nach Norwegen.
    Markus (Fernwanderer)

    • Hei Markus, deine Einträge waren auf jeden Fall allgegenwärtig 🙂 Genau, Einar hieß er. Dann viel Spaß beim Verfolgen, da freuen wir uns!

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