Nach den (Un-)ruhetagen in Evje sind wir etwas skeptisch, als wir den Campingplatz verlassen, um in Richtung Vegusdal weiterzulaufen. Ich bin von Montezumas Rache immer noch ziemlich geschlaucht und die Blasen an Annis Füssen sind zwar besser geworden, aber noch nicht völlig abgeheilt. Wir aber wollen weiter, endlich die Strassenkilometer hinter uns bringen, um ab Dølemo die ersten Wanderwege des DNT zu nutzen.

Unterwegs nach Vegusdal stellen sich wieder einmal die Knott als grösste Plage heraus. Diese winzigen Kriebelmücken sind echt die Pest, weht kein Wind kommen sie zu tausenden und fallen über einen her. Die Stiche jucken tierisch und im Nu hat man davon hunderte, echt ätzend. Anni hat die Tage über 180 Stiche an sich gezählt, bei mir werden es weit mehr sein, mich haben die Mücken einfach ganz besonders gern. Es gibt scheinbar kein dauerhaft wirksames Mittel dagegen, nur Wind schafft Abhilfe. Das erklärt auch, warum die Norweger auf ihrem Campingplätzen wenn sie Dauercamper sind, Ventilatoren auf der Terrasse stehen haben. Doof nur, wenn man zu Fuss unterwegs ist, dann ist so ein Ventilator halt ein wenig unpraktisch.

Wir fliegen also quasi die Straße entlang nach Vegusdal, immer auf der Flucht vor den Knott und zudem wollen wir so viele Kilometer wie möglich schaffen, bis die Füße anfangen zu schmerzen.

Der Südpol liegt in Südnorwegen

Klappt ganz gut und wir erreichen den kleinen Ort Vegsudal mitten im Nirgendwo Südnorwegens. Warum wir hier übernachten wollen? Nun, vor zwei Jahren beim Camp Ousland durfte ich Astrid Furholt kennenlernen. Sie hatte sich damals vorgenommen, als erste Frau in Amundsens Fussspur zum Südpol zu gehen. Mit einer großartigen Crowdfunding-Kampagne hat sie das nun in diesem Jahr wirklich geschafft und ist tatsächlich zum Südpol gelaufen. Wir saßen damals auf der Fähre zurück nach Bodø nebeneinander und freundeten uns an. Neben uns saß ein deutsches Pärchen, das ausgerechnet mein Buch in der Außentasche seines Rucksacks dabei hatte und ständig zu uns herüber sah. Ich klärte Astrid auf und wir sprachen mit dem Paar, das war echt ne witzige Geschichte. Und im Verlauf unseres Gespräches kam dann heraus, dass Astrid ursprünglich aus Vegusdal stammt, wo ich schon einmal auf meiner Tour 2013 übernachtet hatte. Lange Rede, als ich ihr im Vorfeld unserer Tour erzählte, dass wir erneut durch Vegusdal laufen würden, versprach sie uns eine Überraschung. Und so kam es dann auch, als wir dort waren, wurden wir zu ihrem Bruder und seiner Familie eingeladen, die ganz in der Nähe wohnen. Wir bekommen ein leckeres Abendessen und ein weiches Bett für die Nacht.

Und ganz obendrein auch noch einen weiteren Einblick in das Alltagsleben der Leute hier, die nicht in Oslo, Bergen oder Stavanger leben und somit mit ganz anderen Dingen zu kämpfen haben. Spannend zu sehen, Norwegen hat so viel mehr zu bieten als das, was im Fernsehen und in den Medien so oft einfach überrepräsentiert ist. Tusen takk an die Furholt Familie für den wunderbaren Aufenthalt auf ihrem Hof!

Der nächste Tag geht ganz gut los, die letzten Kilometer auf der Strasse für eine ganze Weile stehen an. Aber bald darauf brechen bei Anni die Blasen an den Füssen wieder auf, der Weg nach Dølemo wird eine einzige mentale Bewährungsprobe für sie. Wir haben mehr als einmal die Gelegenheit, einfach ein Auto anzuhalten und einzusteigen, aber sie zieht es durch, besiegt die Schmerzen. Ich habe noch nie jemanden so kämpfen und durchhalten gesehen, ich habe den allergrössten Respekt davor und kann nur meinen Hut ziehen. Der Wille schlägt einfach alles, wenn man nur fest genug in ihm ist!


Wille, Durchhaltevermögen und Kaffee versus Blasen an den Füssen

Nichts desto trotz legen wir in Dølemo einen Ruhetag ein. Hier gibt es einen kleinen einfachen Campingplatz und nebenan einen Dorfladen, der von den deutschen Auswanderern der Familie Plozicki geführt wird, die hier schon lange wohnen und sich richtig etwas aufgebaut haben. Der Laden ist das Zentrum des Dorfes, das bekommen wir schnell mit, als wir beinahe den gesamten Ruhetag in der Kaffeeecke dort verbringen.

Wir kommen mit vielen Leuten ins Gespräch und erfahren auch hier viel über das Leben auf dem Land und den Alltag der Leute. Nicht alles hier ist super gut, und Milch und Honig fliessen hier auch ganz sicher nicht in Strömen, aber irgendwie scheint es hier den Leuten ganz gut zu gehen, das Arbeitsleben ist wohl um einiges entspannter und gerade in den einfacheren Berufen das Gehalt im Vergleich zu Deutschland deutlich höher, so dass man hier eine Familie gut ernähren kann. Erst als der Laden wieder schliesst, gehen wir zum Zelt und harren darin aus, die Knott sind es auch hier, die den Spass am Draussensein deutlich einschränken.


Goodbye asphalt! Hello swamp!

Und dann geht es endlich los, das erste ”T” des DNT wartet auf uns, wir verlassen endlich die Strasse.

Dank der großen Hitze der letzten Wochen ist die ansonsten für ihre Feuchtigkeit berühmte und vor allem auch berüchtigte Setesdals Austhei unglaublich trocken. Selbst die Sumpfflächen sind fast ganz trocken, wir kommen gut voran. Aber auch hier nerven die Knott und vor allem auch die Bremsen, da hilft nur sich für die Pausen ein luftiges Plätzchen zu suchen. Auch das Wasser zum trinken zu finden ist echt schwer, da eigentlich sämtliche! Bäche trocken gefallen sind und man nur aus den größeren Seen Wasser entnehmen kann.

Es klappt ganz gut, doch wir bleiben vorsichtig, so einen Keim wie in Evje braucht hier kein Mensch.

Die Austhei wird aber ganz sicher nicht unser Lieblingsgebiet werden. Es ist zwar schön, die DNT-Hütten endlich nutzen zu können und weg von der Strasse zu sein, aber selten haben wir uns so verloren gefühlt wie hier. Viele Ecken sehen gleich aus, ohne Wegmarkierung, Karte und GPS wäre man hier oft hilflos aufgeschmissen.

Tausende kleine Seen, Moorflächen und lichte Wälder machen es zu einer gefühlten Wildnis, weitab von jeglicher Zivilisation.

Ein gewisser Lars Monsen wird sich hier ganz sicher sehr wohl fühlen, wir aber sind froh um jeden kleinen Ausblick von den wenigen Anhöhen, die dann aber teils wirklich spektakulär sind.

Teilweise ist es schon eine ganz schöne Schinderei, hier unterwegs zu sein. Die tausenden kleinen An- und Abstiege hier sind auf keiner Karte verzeichnet, bewegen sich immer schön versteckt zwischen den Höhenlinien.


In der Austhei werden NPLer geformt

Wir halten zwar immer die angegebenen Wanderstunden ein, aber bolzen dabei ganz ordentlich Kondition, die Muskeln wachsen, der Ballast schwindet langsam.

Der erste Weg auf den Hütten führt uns immer ins Essenslager und wir verschlingen genüsslich jeder eine Dose Ananas oder Pfirsiche.

Es ist irgendwie wie im NPL-Trainingslager, man schindet sich um die nötige Kondition und Durchhaltefähigkeit für den weiteren Verlauf der Tour zu bekommen.

Das immerhin klappt ganz gut und zwischendurch kühlt uns der eine oder andere Regenschauer auch endlich mal ab. Ohne Regenklamotten laufen wir dann teilweise einfach weiter, geniessen die kühle Nässe auf der Haut, die dann den Schweiss wegspült, einfach herrlich nach der ganzen Hitze!

Einen Elch bekommen wir auch zu sehen, wir scheuchen ihn beim Aufstieg kurz hinter Skarsvassbu auf, mit uns hat er dort wohl nicht gerechnet.

Hyttekos und Ananas

Die Abgeschiedenheit der Hütten hier gefällt uns gut, sie sind durch die Bank sehr gemütlich und liegen teils an wunderschönen Plätzen. Die Nutevasshytta hat es uns dabei ganz besonders angetan. Der Blick über den See ist einfach wunderbar entspannend und überall wuseln Schafe mit ihren Lämmern umher, ihre Glöckchen bilden den relaxten Soundtrack zu diesem Ort weitab der Hektik des Alltags.

Kurz vor der Torsdalsbu-Huette haben wir Handyempfang und checken das Wetter. Für den nächsten Tag ist Regen vorhergesagt, wir entscheiden uns über die Schotterstrasse an der Hütte den Weg aus den Bergen zu nehmen, um über die Strasse nach Dalen zu laufen.

Gesagt getan, wir bringen die Strasse hinter uns, haben unglaubliches Tramper-Glück, als wir am Ende des ersten Tages auf den Fylkesvei 355 treffen und innerhalb von einer Stunde zwei Mal auf Anhieb mitgenommen werden, um erst zum Einkaufen und dann zum Camping nach Fossumsand zu trampen.

Dort nehmen wir uns eine kleine Hütte, draußen regnet es in einer Tour, eine gute Entscheidung. Am Abend spreche ich lange mit Dierk, dem deutschen Betreiber des Campingplatzes, der hier mit seiner Frau Brigitte schon lange wohnt und die den Platz gemeinsam mit viel Liebe aufgebaut haben. Sie wollen in naher Zukunft erheblich kürzer treten, und den Platz gerne an jemanden in welcher Form auch immer weitergeben. Also, wer Interesse hat, meldet euch dort!

Am nächsten Tag bringen sie uns zurück zum Ende des Vortages und wir machen gemütlich unsere Kilometer bis hinter Åmdals Verk, wo wir neben der Strasse unser Zelt aufschlagen und panisch von der Knott-Armee getrieben in selbiges flüchten. Selbst kochen ist schwer, man darf das Innenzelt wirklich keinen Spalt weit offen lassen, sonst ist man des Wahnsinns fette Beute, die Winzlinge nerven langsam wirklich.

Und nun sitzen wir im Dalen Hotel, der Kontrast zu diesem fürchterlichen Zeltplatz könnte kaum größer sein. Die Wäsche ist gewaschen, die ganz persönlichen Akkus laden langsam aber stetig. Wer sich hier im Hotel nicht wohl fühlt, dem ist echt nicht zu helfen.

Es geht so herrlich ruhig und gediegen zu, ganz wie in der guten alten Zeit. Es gibt hier keine Fernseher und so weiter, nur ganz viel Zeit zum entspannen! Und das machen wir hier nur allzu gerne! Und da Anni gestern auch noch Geburtstag hatte, Timing ist alles, gab es nach dem Abendessen noch eine kleine Überraschung für sie vom Hotel.

Gratulerer med dagen! Hipphipphurra!

Kennt ihr diesen Moment, wenn ihr nach einer Tour im Hotel ankommt, eure ganzen stinkenden Sachen, von den Schuhen bis zu Zelt, wild verteilt im Zimmer liegen, und dann das Housekeeping bei euch aufräumt und sogar noch für solch tolle Überraschungen sorgt? Man möchte im ersten Moment im Boden versinken und lacht dann laut los, denn wie groß kann der Kontrast im wirklichen Leben bloß sein? Kaum größer wohl als in solchen Momenten! In diesem Sinne, ich trinke mal weiter Kaffee, wir entspannen weiter maximal und später gucken wir vielleicht sogar noch das Deutschlandspiel, wer weiß, aber Timing ist wirklich alles! Habt alle einen entspannten Sonntag, so wie wir hier im wunderschönen Dalen Hotel!

In Kooperation mit Visit Norway

6 Kommentare

  1. Hej ihr beiden, ganz herzlichen Dank für den spannenden Bericht und die tollen Fotos. Wie schön, dass ihr es trotz der Blasen, der zeitweiligen Hitze und der ständigen Knott-Attacken schon mal soweit geschafft habt. Und toll, dass ihr es im Hotel so gut angetroffen habt. Das habt ihr euch wirklich verdient! Herzlichen Glückwunsch nachträglich, liebe Anni! Ein glückliches und behütetes neues Lebensjahr wünsche ich dir.
    Und euch beiden wünsche ich, das ihr nun viel neue Kraft tankt, damit es anschließend mit vollen Akkus gut weitergeht. Alles Gute weiterhin und liebe Grüße, Helge

    • Moin Helge! Vielen lieben Dank für die Worte! Auch wenn manche Sachen wie die Blasen oder die Knott echt nerven, so überwiegt doch ganz klar die Freunde am Unterwegssein! Auf noch viele weitere Abenteuer hier im Norden! Viele liebe Grüße Simon & Anni

  2. Moin ihr beiden, euer SPOT-Sender ist wirklich eine tolle Sache! Ich habe gerade festgestellt, dass ihr in Gaustablikk übernachtet habt. Die Gegend habe ich mir über Google Earth mal angeschaut. Echt beeindruckend. Es hat euch also so richtig ins Gebirge verschlagen, wie mir scheint. Da kommen sicher ganz schön Höhenmeter zusammen. Ich vermute, dass ihr mittlerweile eine richtig gute Kondition aufgebaut habt. Hoffentlich sind die Knott Gebirgsmuffel!?!
    Nun bin ich mal gespannt, auf welchem Weg es bei euch weitergeht. Alles Gute aus der Heimat und eine blasenfreie Zeit wünsche ich euch, Helge

  3. Lieber Simon, liebe Anni,
    Ihr habt unser vollstes Mitgefühl und unsere größte Bewunderung für den Kampf gegen nervende Knott und schmerzende Blasen! Und dann auch noch Bremsen, puh, da braucht es viel innere Ruhe. Wir drücken die Daumen, dass die Akkus wieder geladen sind und wünschen Euch alles Gute und weniger Plagegeister bei jedem weiteren Schritt.
    Liebe Grüße,
    Andrea & Ole

  4. Liebe Anna, lieber Simon,

    da macht ihr aber ganz schön was durch mit diesen mehr als lästigen Knott! Als ob Blasen nicht schon nervig genug wären … Da wollen euch diese Viecher die Bibel in Blindenschrift auf eure Körper verpassen …

    Es war wieder eine Freude eure Zeilen zu lesen und die Fotos zu schauen!

    Weiterhin eine tolle Zeit, Hotels mit Charme und viel Rückenwind, der euch vorwärts bläst und die Knotts beiseite

    Thomas

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